Zurück zur Liste

Diversität im Radtourismus. Ist das Reisen mit dem Fahrrad für alle möglich?

Montag, 30. August 2021
Man könnte meinen, dass man männlich, schlank, sportlich, wohlhabend und jung sein muss, um eine Radreise zu genießen und sich auf das Abenteuer einzulassen, viele Kilometer zu radeln. Das Bild des typischen Radtouristen (ein wohlhabender weißer Mann in den Endvierzigern) dominiert immer noch viele Fahrradzeitschriften und Sportartikel, entspricht jedoch nicht der Realität des Radtourismus. Radfahren ist eine Aktivität, die so vielfältig ist und so viele Vorteile für das persönliche Wohlbefinden mit sich bringt, dass jeder diese Erfahrung machen sollte, unabhängig von Alter, körperlicher Verfassung, Fähigkeiten, Geschlecht, sozioökonomischem Status usw.

Doch auch wenn der Radsport all dieses Potenzial für Inklusion hat, ist er leider immer noch nicht so inklusiv und vielfältig, wie er sein könnte. Rund um den Globus werden Bemühungen unternommen, das Radfahren für alle zugänglicher zu machen. In diesem Artikel möchten wir einige inspirierende Initiativen und Beispiele von Menschen vorstellen, die Hindernisse überwunden haben, damit immer mehr Menschen die Vorteile des Fahrradfahrens genießen können. Geschichten über Selbstoptimierung, Hilfsbereitschaft, Vielfalt und Gemeinschaft zeigen, dass wir es mit der richtigen Ausstattung, Unterstützung und Umgebung weit bringen können!

#MoreCyclingTourism kümmert sich um Ihr Wohlergehen und das der Gesellschaft, indem es das Radfahren für alle Altersgruppen, Fähigkeiten und Budgets zugänglich macht und gleichzeitig eine inklusivere Gesellschaft schafft.

Radfahren für jedes Alter

Von 10 Monaten bis 108 Jahren - diese beiden außergewöhnlichen Geschichten haben uns gezeigt, dass es so etwas wie ein "Fahrradalter" nicht gibt.

Die Entwicklung von E-Bikes hat dazu beigetragen, dass immer mehr SeniorInnen mit dem Fahrrad unterwegs sind, und RadtouristInnen über 50 sind nun häufiger auf den EuroVelo-Routen anzutreffen. Aber für diejenigen, die aufgrund eingeschränkter Mobilität Schwierigkeiten haben, mit dem Fahrrad zu fahren, kann das in Kopenhagen ins Leben gerufene Projekt "Cycling without age" Hilfe bieten. Das Projekt, das inzwischen in über 50 Ländern vertreten ist, ermöglicht es SeniorInnen, ein Gefühl der Freiheit wiederzuerlangen, und schafft Beziehungen zwischen den Generationen durch eine Trishaw-Fahrt, die älteren Menschen einen Fahrdienst zur Verfügung stellt. So kann zum Beispiel die 108-jährige Edith aus Bournemouth noch immer den Wind in den Haaren, die vorbeiziehenden Landschaften und die erholsame Erfahrung einer Fahrradtour genießen.

Eine etwas jüngere Frau, die bewiesen hat, dass Radfahren kein Alter kennt, ist die zehn Monate alte Zoé. Gemeinsam mit ihren Eltern Jeanne und Xavier hat sie sich auf ein dreimonatiges Abenteuer in ihrem Fahrradanhänger quer durch Frankreich begeben und dabei Teile der EuroVelo 1 - Atlantic Coast Route (La Vélodyssée) und EuroVelo 8 - Mittelmeer-Route (La Méditerranée à vélo) befahren. Sie starteten in Roscoff und erreichten Straßburg nach etwa 5000 km auf dem Fahrrad, erschöpft, aber voller Stolz und Erinnerungen. Die kleine Zoé wird sich vielleicht nicht mehr daran erinnern können, aber sie hat ihr Leben mit einer unglaublichen Erfahrung begonnen. Erfahren Sie mehr unter La Mini Passagère.

Zoé und ihr Vater Xavier auf der EuroVelo 1 in Frankreich © La Mini Passagère (www.laminipassagere.com)
Zoé und ihr Vater Xavier auf der EuroVelo 1 in Frankreich © La Mini Passagère (www.laminipassagere.com)

Radfahren für alle Fähigkeiten

Die folgenden Geschichten sind nur einige der vielen inspirierenden Geschichten von RadfahrerInnen, die trotz Hindernissen und Schwierigkeiten ihre Leidenschaft nicht aufgegeben haben und sich auf eine Reise begeben haben, um andere zu inspirieren. Mehrere Initiativen haben sich genau dieses Ziel gesetzt, Barrieren und Vorurteile abzubauen, sodass jeder die richtige Unterstützung erhält, Rad zu fahren und die körperlichen, emotionalen, praktischen und sozialen Vorteile des Radfahrens zu genießen.

Für Oli brachte das Jahr 2013 einen schweren Schicksalsschlag in Form einer schockierenden Krebsdiagnose. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten gab Oli nicht auf und nutzte Radtouren als Mutmacher: "Mein Fahrrad ist für mich mehr als nur ein Mittel um von A nach B zu kommen. Es ist eine Lebenseinstellung. Das Radfahren gibt mir Stabilität und verbessert meine Lebensqualität." Bald darauf startete er sein Projekt "Oli radelt!", das er als eine Kombination aus Selbsthilfe, Leidenschaft und sozialem Engagement bezeichnet. Bis heute hat er viele Radtouren unternommen, um Spenden für krebs- und schwerkranke Menschen zu sammeln, oft entlang des EuroVelo 15 - Rheinradwegs.

Eine ähnliche Geschichte ist die von Christian. Als langjähriger leidenschaftlicher Radfahrer änderte sich auch sein Leben schlagartig, als er 2015 einen Schlaganfall erlitt. Schritt für Schritt musste er vieles neu lernen, aber seinen Traum, eines Tages wieder Rad fahren zu können, hat er nie aufgegeben. Mit einem speziell auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Fahrrad wurde sein Traum wahr. Nach einer Testfahrt auf der EuroVelo 15 ist er derzeit auf der EuroVelo 3 - Pilger-Route von Norwegen nach Spanien unterwegs. Auf seiner Reise verwirklicht er sein Projekt "Ride for stroke", um Menschen, die sich von einer Hirnverletzung erholen, eine optimistische Botschaft zu überbringen und die Schlaganfallprävention zu fördern.

Radfahren auf der EuroVelo 3 in Norwegen © Christian Salamin (rideforstroke.com)
Radfahren auf der EuroVelo 3 in Norwegen © Christian Salamin (rideforstroke.com)

Mathys und Clémence begaben sich mit einem Tandem auf eine einmonatige Reise über 1.500 km entlang der EuroVelo 4 - Mitteleuropa-Route in Frankreich (La Vélomaritime). Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, aber Mathys ist seit seiner Geburt blind. Man könnte meinen, dass eine Sehbehinderung oder Blindheit definitiv ein Ausschlusskriterium für eine Radtour wären, aber nicht nach Ansicht des Vereins "Bienvoyants ensemble", der Menschen mit und ohne Sehbehinderung für sportliche, kulturelle Aktivitäten oder einfach zum Einkaufen zusammenbringt. Das Gleiche war der Fall bei Mathys und Clémence; sie lernten sich über die Plattform kennen und arrangierten schon bald eine Fahrradtour entlang der französischen Küste.

Es gibt noch viele weitere Initiativen, die die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderungen vom Radfahren bekämpfen. In Veľký Šariš in der Slowakei bietet ein kürzlich ins Leben gerufenes ParaBikeSharing Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, kostenlos ein Trishaw zu reservieren, um die Region und die EuroVelo 11 - Osteuropa-Route zu erkunden. Der Verein Wheels for wellbeingim Vereinigten Königreich setzt sich seit langem dafür ein, Menschen mit Behinderungen das Radfahren näher zu bringen. Ebenso möchte das BICIMUGI-Projekt zwischen Pyrénées-Atlantiques und Navarra (teilweise auf der EuroVelo 3 - Pilgerroute) Menschen mit eingeschränkter Mobilität fördern.

Radfahren für alle Geschlechter

Soloreisen von Frauen über lange Strecken werden oft als besonders gefährlich empfunden. Doch immer mehr Frauen wagen sich auf den Weg, während andere ihren Weg zum Radfahren mit Unterstützung anderer gefunden haben.

Sylvie von RadioCamino ist seit langem allein unterwegs und interessiert sich besonders für Pilgerrouten, wie EuroVelo 3 - Pilger-Route und EuroVelo 5 - Via Romea (Francigena). Ihr erster Pilgergang war ein Weg, um den Verlust ihres Vaters zu überwinden und die Genesung ihrer Mutter zu feiern. Nach unzähligen Kilometern zu Fuß beschloss sie, die Pilgerwege vom Fahrradsattel aus zu erkunden, und seitdem plant sie regelmäßig für einige Monate im Jahr lange Radtouren.

Catherine hingegen, die nicht so erfahren im Radfahren und Zeltaufschlagen war, folgte ihrer inneren Stimme und begab sich auf eine Soloreise entlang der EuroVelo 8 - Mittelmeer-Route. Ihr Rat: Manchmal muss man es trotz aller Sorgen und Ängste einfach tun. Auch Lauren, inspiriert von dem Film über die Radreise eines jungen Mannes um die Welt, wollte sich von ihren Zweifeln nicht länger aufhalten lassen und beschloss, Europa auf der EuroVelo 6 - Atlantik-Schwarzes Meer zu durchqueren. Die Reise wurde zu einer faszinierenden und bereichernden Erfahrung, bei der das EuroVelo-Netzwerk ihr einen sicheren und leicht zu folgenden Rahmen bot.

Cat biking on EuroVelo 8 ©Dave's travel pages
Cat biking on EuroVelo 8 ©Dave's travel pages

Für die Frauen, die sich nicht allein auf ein Radfahrt trauen oder einfach lieber in einer Gruppe radeln, wurden verschiedene Initiativen ins Leben gerufen. Viele Frauen-Radsportvereine wie dieser in Nantes werden gegründet, denn "solange Frauen keine anderen Frauen auf dem Rad sehen, werden sie diesen Sport nicht für sich in Betracht ziehen". Die türkische Frauenradsport-Initiative "Bisikletli Kadın İnisiyatifi" hingegen hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen in der Türkei durch Radfahrkurse, Aktivitäten und Treffen zum Radfahren zu ermutigen.

Titelbild: Clémence und Mathys radeln auf der EuroVelo 4 in Frankreich © 2021 France TV

Autorin: Antonia Tornow